Catch 22

Artikel von Hubert Spiegel in der FAZ.de:

Heute liest man den Roman „Catch-22“ als Parabel auf Big Data. Mit ihr nahm Joseph Heller vor einem halben Jahrhundert die kafkaesk anmutende Logik eines schier übermächtigen Kontrollsystems vorweg.

Was ist und wie funktioniert eine Kontrollbehörde? Auf diese Frage hat Franz Kafka die Antwort im „Schloss“ gegeben: „Sie sind sehr streng, sagte der Vorsteher. Aber vertausendfachen Sie Ihre Strenge, und sie wird noch immer nichts sein, verglichen mit der Strenge, welche die Behörde gegen sich selbst anwendet. Nur ein völlig Fremder kann Ihre Frage stellen. Ob es Kontrollbehörden gibt? Es gibt nur Kontrollbehörden. Freilich, sie sind nicht dazu bestimmt, Fehler im groben Wortsinn herauszufinden, denn Fehler kommen ja nicht vor, und selbst, wenn einmal ein Fehler vorkommt, wie in Ihrem Fall, wer darf denn endgültig sagen, dass es ein Fehler ist.“

Die Kontrollbehörden NSA, Google, Facebook und andere haben diese eigentümliche Logik für ihre Zwecke perfektioniert: Die Entscheidung darüber, was ein Fehler, ein Verbrechen, ein Verdienst oder eine ökonomisch verwertbare Information ist, haben sie in eine unbestimmte Zukunft verlagert. Bis dahin wird erst einmal alles gesammelt und gespeichert: Datenmüll, bis zu jenem Zeitpunkt, an dem die Kontrollbehörde etwas anderes entscheidet, weil sie etwas anderes will, denkt oder braucht als heute. Das wissen wir dank Edward Snowden, der sich als Einzelner gegen ein System gestellt hat.

Joseph Hellers vor einem halben Jahrhundert erschienener Anti-Kriegsroman „Catch-22“ handelt davon, wie perverse Systeme immer wieder Situationen herstellen, in denen der Einzelne gegen das System verlieren muss, ganz egal, wie offensichtlich die Absurdität dieses Systems auch sein mag. Heller wählte damals die Maschinerie des Zweiten Weltkriegs als Hintergrund für sein Buch, aber welches Szenario würde er heute wählen? Held des Romans ist der Bomberpilot John Yossarian, der sich weigert, noch länger eine Uniform zu tragen, nachdem sein Kamerad, während er in Yossarians Armen starb, ihm ein Geheimnis enthüllt hatte, das ihn zum Umdenken zwang. Das Geheimnis lautet: Es ist der Einzelne, der zählt, nicht das System. Es ist der menschliche Geist, der zählt. Man könnte auch sagen: Der Mensch ist nicht aus Datenmüll allein gemacht. Viel ist darüber gerätselt worden, warum Joseph Heller seinem amerikanischen Helden den ungewöhnlichen Namen Yossarian gab. Der Name des sterbenden Geheimnisträgers hingegen hat erst seit kurzer Zeit einen neuen Klang bekommen. Er lautet: Snowden.