by Flake
Flake von Rammstein und sein langer Weg zum Glück
Bei Rammstein steht Christian „Flake“ Lorenz als Bandnarr an den Orgeln. Jetzt veröffentlicht er seine Memoiren. „Der Tastenficker“, seine Autobiografie, ist ein Lehrbuch zur inneren Freiheit.
Ältere werden sich daran erinnern, dass die Deutschen Rammstein nicht von Anfang an für ihre größte Rockband aller Zeiten hielten. In den Neunzigerjahren galt der Ostmensch als Barbar. Der Westen urteilte die etwas grimmig wirkenden Musikanten kurzerhand als Neonazis ab oder als unmündige Brandstifter. Als kulturelle Hinterwäldler, die nicht wissen konnten, was sie taten, um berühmt zu werden, wenn sie Leni Riefenstahl beschworen und zu Marschmetallmusik von ihren finsteren Gedanken sangen.
Man kann sich das nicht mehr vorstellen im 21. Jahrhundert: Rammstein spielen bei VW in Wolfsburg zum Betriebsvergnügen. Sie werden umarmt auf Preisverleihungen der Plattenindustrie. Sensible Porträts der Musiker werden in überregionalen Zeitungen gedruckt; die einfühlsamsten Reportagen über ihre Reisen als Musikbotschafter ihres Landes werden ausgezeichnet.
„Irgendwann gewinnt die Zeit“, sagt Flake. Christian „Flake“ Lorenz ist der Organist bei Rammstein und ihr Bandnarr. Ohne sein Gefiepe und Gehampel wäre der Humor, auf dem ihr schweres Rocktheater balanciert, vielleicht bis heute nie gebührend wahrgenommen worden. Flake sagt, das sei ihm aber auch egal. Er sitzt unter dem Dach seines Verlages, der sein Buch veröffentlicht, „Der Tastenficker“, in dem er erzählt, wie er das wurde, was er ist. Ein 48 Jahre alter Held der Rockmusik, der staunend wie ein Junge aufgeschrieben hat, wie alles Unglück sich in Glück verwandeln kann, wenn man es einfach so geschehen lässt.
Der letzte Botschafter von Ostberlin
Er wundert sich auch, wenn er, was da nun im Buch steht, noch mal nacherzählt und zu verstehen versucht, mit seiner imposanten Brille im Gesicht und freundlich ostberlinernd, wie man es hier, wo er immer schon gelebt hat, in Prenzlauer Berg, so nicht mehr hört. Auch davon handeln seine Memoiren: vom Verlust der Heimat. Flake schreibt: „Ich fand die DDR ja toll.“ Kein reumütiger Stasioffizier und kein gedemütigter Schlagersänger, kein vergessener Olympiasieger und kein Kommunalpolitiker der Linken dürfte das so in den Druck geben. Ein Ostpunk darf das, schon weil es der DDR im Siegeszug der Zeit nicht anders geht als Rammstein.
In den Neunzigern wurde sie aufgearbeitet von Kommissionen, die genügend Abstand zu ihr hatten, nichts vom Leben in ihr wissen wollten und die Aktenlage für die einzig wahre hielten. Wer zu wenig Abstand, in der DDR gelebt und seine Zweifel an den Akten hatte, war damals zu sehr damit beschäftigt, sich im neuen Land zurechtzufinden.
Umso irritierender, was zuletzt mit der DDR passierte, als der Jahrestag des Mauerfalls sich wieder rundete: Die Ausstellungen, Festakte und Fernsehfilme, die von unbefangenen Aufarbeitern im Akkord dazu gestaltet wurden, zeigten keine Diktatur mehr, in der es auch etwas grauen Alltag gab. Sondern den bunten Alltag, der sich von der Diktatur nicht weiter stören ließ. Die Ostalgie wurde zur inneren Angelegenheit des Westens, einem Osten wurde hinterhergeseufzt, der toller aussah als er war.
Dann lasen alle „Kruso“ von Lutz Seiler und waren begeistert von den grenzenlosen Freiheitsgraden, die sich jedem auftaten, der sich nach innen aus dem Land verabschiedete. Zum Kartoffelschälen, Kellnern, Kunstmachen nach Hiddensee. Auch Flake hat im „Klausner“ Geschirr gespült, der echte Kruso hieß Aljoscha und war Sänger in der unpunkigsten Ostpunkband, bei Feeling B, wo Flake seinen Kinder-Casio aus dem Westen spielte. Und zwar, wie er sagt, am liebsten auf der Insel in der Insel vor der Insel DDR.
Der Mensch lebte normalerweise vor sich hin, fand an der DDR nichts toll, hielt sich aber an ihre Regeln. Flake präzisiert in seinem Buch „Der Tastenficker“ nun das gegenläufige Modell: Man wusste, was man hatte an der DDR, den fürsorglichen Staat, wo man auch fürstlich davon leben konnte, ein Paar Ohrringe aus Zahnarztdraht zu biegen und an Strandurlauber zu verkaufen, um mit einem Kleinlaster durchs Land zu klappern und die unbekümmertste Musik überallhin zu tragen.
Flake wollte Arzt werden wie viele andere auch. Er hatte Angst vor der Armee wie jeder in der DDR. Wer Arzt wurde, ging zur Armee, also nahm Flake von seinem Berufswunsch Abschied und schaffte es bis zur Auflösung der NVA, sämtlichen Einberufungen als Punknomade zu entkommen. Und vor allem, ohne in der BRD, wie er den deutschen Westen fröhlich nennt, zu landen, worüber er sich noch heute freut.
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Facts:
English title: N/A
Original title: Der Tastenficker: An was ich mich so erinnern kann
Published: 2015